Samstag, 31. Mai 2014

Das Gefrimsel

Bei dem rechts abgebildeten Photo handelt es sich um Seetang, der sich in einem gesplissenen Tau verfangen hat - man könnte aber genauso gut ausrufen :
"Was ist denn das für ein Gefrimsel?"

Das Gefrimsel ist jedenfalls ein Wort, das es eigentlich gar nicht gibt. Es existiert quasi nicht offiziell, steht nicht im Duden und wird im Internet sehr eigenwillig, vor allem als Synonym für "Gefriemel" oder im Sinne eines überflüssigen Zubehörs benutzt.

Das Gefrimsel ist also schwer einzuordnen - doch ich sehe eine bedeutende Zukunft für dieses ungewöhnliche Wort vorher! Es hört sich so schön an, phonetisch kriegt es die volle Punktzahl! Und es birgt Potential - ist vielfältig einsetzbar z. B. als plüschiges Kissen mit Gefrimsel dran oder eben auch ganz anders, der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt ...:-)

Freitag, 30. Mai 2014

Saippuakivikauppias

Saippuakivikauppias ist finnisch, heißt Seifensteinverkäufer* und gilt als das längste Palindrom der Alltagssprache.

Ein Palindrom ist eine Zeichenkette, die von vorn und von hinten gelesen gleich bleibt,
wie z.B. bei Otto, Retter, Reittier, Rentner, Lagerregal u.a.. Zu den Palindromen zählen aber auch Worte, die vorwärts und rückwärts gelesen eine unterschiedliche Bedeutung bekommen z.B.: Leben - Nebel oder Lager - Regal.

In der deutschen Sprache hat es der Reliefpfeiler zum längsten deutschen Ein-Wort-Palindrom geschafft und somit Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde gefunden. Dieses Wortpalindrom besitzt als kunstgeschichtlicher Terminus keine besondere Bedeutung. Das Kompositum gilt aber als ein bemerkenswertes Palindrom, weil ein langes Einwort-Palindrom in der deutschen Sprache selten ist. Länger ist sonst nur noch der Retsinakanister, der aber auch bloß für eine kleine Zielgruppe relevant ist :-)

Es gibt auch Satzpalindrome und am schönsten finde ich :
Eine güldne, gute Tugend: Lüge nie!

Palindrome müssen nicht zwangsläufig nur aus Buchstaben bestehen. So gibt es etwa Zahlenpalindrome, die von vorne oder hinten gesehen denselben Wert ergeben (etwa 2442), Musik-Palindrome, Primzahl-Palindrome, Datumspalindrome, Zeitpalindrome und palindromische Sequenzen in der Genetik.

*Ein Seifensteinverkäufer steht nicht etwa am Eingang der berühmten finnischen Saunen, sondern verkauft den Werkstoff "Speckstein", der für die Herstellung von Kunst- und Alltagsgegenständen verwendet wird : http://de.wikipedia.org/wiki/Speckstein

Donnerstag, 29. Mai 2014

Sinnspruch

Diesen Spruch habe ich ganz besonders gerne, denn er ist ein ungemein hilfreicher Abwehrzauber gegen überzogene Selbstkritik und einen Hang zum Perfektionismus !

Die innere kritische Stimme, die uns immer mal wieder einflüstern will, dass wir nicht gut genug sind, uns noch mehr anstrengen sollten, wir etwas noch besser hinkriegen müssten, etwas noch nicht perfekt genug sei oder wir dieses oder jenes auf keinen Fall hätten sagen oder tun dürfen; - wir kennen sie wohl alle zur Genüge :-)

Warum sind wir denn bloß oft so kritisch uns selbst gegenüber? Dafür gibt es sicherlich mehrere Gründe. Unsere Gesellschaft ist sehr wettbewerbsorientiert, daher streben wir unermüdlich danach, in allen Bereichen überdurchschnittlich zu sein. Wenn wir scheitern, schlägt Selbstbewusstsein rasch in Selbstzweifel um. Außerdem glauben wir selbstkritisch sein zu müssen, um uns zu motivieren. Und wir haben die Kritik, der wir in jungen Jahren ausgesetzt waren, etwa von den Eltern, tief verinnerlicht. Statt ermutigend, freundlich und liebevoll fürsorglich mit uns umzugehen, machen wir uns oft das Leben zusätzlich schwer.

"IS MIR EGAL, ICH LASS DAS JETZT SO!" kann helfen, alt bekannte Quälgeistergedanken mit Humor ziehen zu lassen :-)

Mittwoch, 28. Mai 2014

Brieftaube

Die Brieftaube ist ein fliegendender Bote und somit ein schriftnahes Tier. Die bei der Taubenpost angestellten Brieftauben befördern schriftliche Mitteilungen. Diese Art der Briefbeförderung war bereits in der Antike weit verbreitet. In der Neuzeit fand sie zunächst nur für militärische Zwecke Verwendung. Im 19. Jahrhundert wurden jedoch immer mehr Brieftaubenlinien für zivile Zwecke eingerichtet. Es kam mancherorts sogar zur Ausgabe eigener Taubenpostbriefmarken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Taubenpost fast vollständig von modernen Telekommunikationsmitteln verdrängt.
Die Brieftauben wurden arbeitslos, konnten sich aber als "Rennpferde des kleinen Mannes", wie sie im Volksmund auch gerne genannt werden, in sportlichen Wettbewerben ein neues Betätigungsfeld schaffen. Vereinzelt wird auch berichtet, dass Brieftauben höchst effektiv in den Grenzgebieten rund um die Niederlande als Drogenkuriere eingesetzt werden ...

Dienstag, 27. Mai 2014

Gelassenheitsgebet

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

wird dem US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zugeschrieben 


Du kannst nicht verhindern,
dass die Vögel der Besorgnis über deinen Kopf fliegen.
Aber du kannst verhindern,
dass sie in deinem Kopf ein Nest bauen. 

Chinesische Weisheit

Montag, 26. Mai 2014

Erhaschen oder erheischen ?

"Immer wieder stehen Zuschauer auf, um einen Blick auf den so tief Gestürzten zu erheischen."
So steht's am Mittwoch, den 3. August 2011 auf Spiegel-Online und es ist leider falscher Sprachgebrauch ! http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,778217,00.html

Aber das kann ja mal vorkommen, wenn man mit einem seltenen, auch schon ein wenig veralteten Verb des gehobenen Sprachgebrauchs Aufmerksamkeit erheischen möchte :-) Und so muss es oben richtigerweise heißen "einen Blick auf den so tief Gestürzten zu erhaschen."

Erhaschen heißt: "etwas (gerade noch) wahrnehmen können", "etwas durch plötzliches Zugreifen fangen" oder "sich unter Anstrengungen in den Besitz von etwas bringen".
Wir erhaschen also einen Blick auf etwas, erhaschen einen Schmetterling oder ein besonderes Schnäppchen im Ausverkauf.

Synonyme zu erheischen sind jedoch "wollen; erfordern; nötig haben; verlangen".
Wir erheischen Glanz und Ruhm, Ehre, Aufmerksamkeit, Ehrfurcht, Anerkennung, Zustimmung, Mitleid und manchmal auch den Blick von jemandem, z.B. den der Bedienung, damit wir endlich unseren Cappuccino bezahlen können ...

Sonntag, 25. Mai 2014

Wie ergötzlich ...

Für Vergnügen und Zerstreuung - also Ergötzung - sorgt heute Wilhelm Busch mit seiner kleinen Bildergeschichte, die sich den Vergnüglichkeiten des Ehelebens widmet:

Eheliche Ergötzlichkeiten

Ein schönes Beispiel, dass obiges wahr,
Bieten Herr und Frau Knopp uns dar.
Hier ruht er mit seiner getreuen Dorette
Vereint auf geräumiger Lagerstätte.
Früh schon erhebt man die Augenlider
Lächelt sich an und erkennt sich wieder,
Um alsobald mit einem süßen
Langwierigen Kusse sich zu begrüßen.

Wilhelm Busch, Tobias Knopp, Kapitel 44

Samstag, 24. Mai 2014

Kaa

"Hör auf mich und glaube mir,
Augen zu - vertraue mir !
Schlafe süß, sanft und fein -
will dein Schutzengel sein !
Schlaf, kleines Menschlein !
Träume süß - SCHLAF !"

... säuselt sanft, einlullend und unendlich beruhigend die Schlange Kaa aus dem legendären Dschungelbuch. Kaa ist eine enorm lange Pythonschlange, die außerdem die Gabe besitzt, andere zu hypnotisieren, und sie möchte zu gerne den Menschenjungen Mowgli verspeisen ...

Nur die wenigsten Menschen wissen es: ich habe eine ausgeprägte Schlangenphobie !!!
Schon immer war es so und ich erinnere mich bei aller Anstrengung an kein Trauma -
so wie es zum Beispiel beim Schwimmenlernen und meiner Phobie mit dem Kopf unter Wasser zu geraten der Fall ist. Nein, bei Schlangen erinnere ich mich an nichts und dennoch bin ich eine Mitteleuropäerin, die quasi an jeder Ecke immerfort und immerzu auf echte Schlangen trifft :-)
Dass ist beunruhigend! Ein bisschen wunderlich dazu! Und es ist wahr !!!

Ich bin es, die am Elbstrand zwischen den Ufersteinen einen toten Python entdeckt, der wahrscheinlich aus irgendeinem Schiff geworfen wurde. Ich stürze mit dem Fahrrad vor lauter Panik fast auf eine Kreuzotter, der ich in den Vier- und Marschlanden begegne.
In der Bretagne werden vor meinen Augen ziemliche dicke Schlangen mit dem Besen vom Grundstück gekehrt. In Dänemark springe ich mit einem ballettreifen Ausfallschritt über eine Kreuzotter hinweg, die ganz strandnah dahinmäandert.

Ehemann Ulf streckt mir ungezählte Ringelnattern und Blindschleichen in seiner Hand entgegen, damit ich wenigstens einmal eine von ihnen mit ganz spitzen Fingern vorsichtig berühre - aber ich kann es nicht !!! Wir begegnen Schlangen in Griechenland, an der Müritzer Seenplatte, im Klövensteen und manchmal beißen sie mich im Traum sogar in meinem eigenen Bett :-)

Freitag, 23. Mai 2014

Umsturz

Von heut an stell ich meine alten Schuhe
nicht mehr ordentlich neben die Fußnoten
häng den Kopf beim Denken
nicht mehr an den Haken
fress keine Kreide. Hier die Fußstapfen
im Schnee von gestern, vergesst sie
ich hust nicht mehr mit Schalldämpfern
hab keinen Bock
meine Tinte mit Magermilch zu verwässern
ich hock nicht mehr im Nest, versteck
die Flatterflügel, damit ihr glauben könnt
ihr habt sie mir gestutzt. Den leeren Käfig
stellt mal ins historische Museum
Abteilung Mensch weiblich.

Ursula Krechel

Donnerstag, 22. Mai 2014

Der kleine Zirkuselefant

© Fischer Schatzinsel
In einem Wanderzirkus kommt ein Elefantenbaby zur Welt. Niemand hat Zeit, sich ständig um das Tier zu kümmern und aufzupassen, dass es nicht wegläuft. Deshalb behilft sich der Wärter so: Er rammt einen Pflock in die Erde, bindet das Seil daran fest und befestigt das andere Seilende am Hinterbein des Tieres. Auf diese Weise gibt er dem Elefanten eingeschränkte Bewegungsfreiheit und verhindert zugleich, dass dieser fortläuft. Der Elefant erobert nun seine Welt, indem er in alle Himelsrichtungen so weit geht, wie das Seil es zulässt. So entsteht ein durch die Länge des Seils vorgegebener Kreis.

Nach einer Weile hat der Elefant entdeckt, was es innerhalb des Kreises zu entdecken gibt. Er macht die Erfahrung, dass es ihm im Kreis gut geht und dass jeder Versuch, den Kreis zu verlassen, schmerzhaft ist. Das Seil zerrt an seinem Bein, für seine Möglichkeiten ist der Pflock zu fest in der Erde verankert. Er beschränkt sich also auf "sein Reich", in dem er sich gut auskennt und tritt hier den Boden fest.

Nun geht Zeit ins Land, der Elefant wird größer und kräftiger. Irgendwann könnte er den Pflock mühelos aus der Erde ziehen - doch der Elefant hatte ja Erfahrungen gesammelt. Es hatte "gelernt", dass es keinen Sinn macht am Pflock zu ziehen und dass der Versuch, den Kreis zu verlassen, schmerzhaft ist. Er richtet sich in seiner Komfortzone behaglich ein, und die Welt "da draußen" ist für ihn nicht mehr erreichbar.

Thomas Neufert, Petra Preuß
nach Jorge Bucay "Wie der Elefant die Freiheit fand"
http://www.zeit.de/2010/45/Luchs-Bucay

Mittwoch, 21. Mai 2014

Das Gasthaus

Dieses menschliche Dasein ist ein Gasthaus.
Jeden Morgen ein neuer Gast, jeden Tag neue Gesichter.

Freude, Niedergeschlagenheit und Niedertracht -
auch ein kurzer Moment von Achtsamkeit,
alle klopfen unerwartet an die Tür.
Begrüße sie freundlich und bewirte sie alle!

Selbst den puren Ärger,
der die Einrichtung deines Hauses
kurz und klein schlägt,
behandle jeden Gast voller Respekt.
Vielleicht schafft er Raum
für neue Freuden.

Die dunklen Gedanken, die Scham, die Bosheit,
begrüße sie lachend an der Tür
und lade sie zu dir ein.

Sei dankbar für jeden, der kommt,
denn alle sind zu deiner Führung
geschickt worden und haben dir etwas
Wichtiges mitzuteilen.

Rumi, ein Sufi-Dichter aus dem 13. Jahrhundert
http://de.wikipedia.org/wiki/Dschalal_ad-Din_ar-Rumi

Dienstag, 20. Mai 2014

Wer weiß?

Eine alte chinesische Geschichte erzählt von einem Bauern in einem armen abgelegenen Dorf. Er galt als wohlhabend, besaß er doch ein Pferd, mit dem er seine Felder pflügen und Lasten befördern konnte. Eines Tages lief sein Pferd davon. Die Nachbarn bedauerten ihn sehr für sein Pech, aber der Bauer meinte nur "Glück oder Pech, wer kann es wissen?"

Wenige Tage später kehrte das Pferd in Begleitung einer Stute zurück. Über diese günstige Fügung brachen seine Nachbarn in Begeisterung aus und gratulierten dem Bauer zu seinem Glück, aber der Bauer sagte nur "Wer weiß?"

Tags darauf wollte der Sohn des Bauern auf der Stute reiten, aber das Pferd warf ihn ab, sodass er sich das Bein brach. Die Nachbarn bedauerten den Bauern für den Verlust seiner Arbeitskraft, aber er sagte wiederum "Glück, Pech, wer kann es wissen?"

Am nächsten Tag kamen Soldaten in das Dorf, um alle jungen Männer zum Kriegsdienst einzuziehen. Den Sohn des Bauern verschmähten sie, mit seinem gebrochenen Bein konnten sie ihn nicht gebrauchen. Als die Nachbarn sagten, welch ein Glück er habe, antwortete der Bauer erneut: "Wer weiß?" ...

Montag, 19. Mai 2014

Unmögliche Figur


Hier geht es nicht um vermeintlich breite Hüften, zu dicke Hintern, Gewichtsprobleme, Unzufriedenheit mit der eigenen Figur :-)
Wie heißt es doch so schön: Nichts ist so, wie es scheint.
Viele Dinge stellen sich bei genauerer Betrachtung ganz anders dar, als man sie auf den ersten Blick wahrgenommen hat.

Unmögliche Figuren sind grafisch zweidimensionale, vorgeblich dreidimensionale Konstrukte, die körperhaft nicht existieren können. Bei den Figuren handelt es sich entweder um Paradoxa oder um optische Täuschungen. Ein Meister der optischen Täuschung war der niederländische Grafiker M. C. Escher, der im 20. Jahrhundert zahlreiche solcher unmöglichen Figuren geschaffen hat.
Die Lösung des Widerspruches ergibt sich aus der flächenhaften Darstellung in zwei Dimensionen und der Sinneswahrnehmung als dreidimensionale Gebilde.

Die Penrose-Treppe, auch die unmögliche Treppe genannt, gehört zu den „unmöglichen Figuren“ und wurde 1958 von dem britischen Mathematiker Lionel Penrose und seinem Sohn Roger Penrose entdeckt und veröffentlicht. Es ist eine Variation des oben abgebildeten Penrose-Dreiecks, auch Tribar genannt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Unm%C3%B6gliche_Figur

Sonntag, 18. Mai 2014

Para-Neujahr

Rico, den liebenswerten, nach eigener Aussage "tiefbegabten" Jungen aus der Kinderbuch-Trilogie von Andreas Steinhöfel, kennen wir ja bereits aus dem Post "Sellawie". Heute erklärt uns Rico auf seine unnachahmliche Art einige Fremdwörter.
Rico schlägt nämlich alle Fremdwörter, die er nicht kennt im Lexikon nach um schlauer zu werden. Damit er sie "sich besser behalten kann" schreibt er auf, was er herausgefunden hat:

Silhouette:
Schattenriss oder Umriss. Wer denkt sich so einen Buchstabensalat bloß aus?
Genau: die Franzosen! Ich hab was gegen Franzosen, seit Jule mal gesagt hat, die wären gute Küsser. Außerdem essen sie Frösche, Schnecken und dergleichen womöglich direkt vor dem Küssen. Die haben sie doch nicht alle!

Apropos:
Ausnahmsweise ein sinnvolles Fremdwort, aber leicht mit Ach, Popo zu verwechseln, deshalb benutze ich es nie. Es bedeutet Ach übrigens, wo wir gerade schon dabei sind, möchte ich Sie noch auf Folgendes aufmerksam machen. Man müsste also viel weniger sprechen, wenn der Hintern nicht wäre.

Filou:
Ein nichtsnutziger Knallkopf. In der DDR gab es Knaller und Feuerwerkskörper, die ebenfalls Filou hießen. Die DDR war früher der Teil von Deutschland ohne Bananen. Zuletzt musste sie wegen Obstmangel leider aufgegeben werden, aber dann gab es plötzlich doch genug für alle, und seitdem ist ganz Deutschland eine Bananenrepublik.

Skepsis:
Wenn man geneigt ist, etwas zu glauben, aber die Neigung noch nicht ganz zum Umfallen reicht. Oder man neigt dazu, es lieber nicht zu glauben, kann sich dann aber kaum auf den Beinen halten. Es ist also ein wackeliger Zustand großer Unsicherheit, den man nur durch sorgfältige Erforschung abstellen kann. Vorher sollte man aber auf jeden Fall ein weiches Kissen auf den Boden legen.

Para-Neujahr:
Wenn man davon überzeugt ist, dass jemand hinter einem her ist, obwohl er sich in Wirklichkeit gar nicht für einen interessiert. Irina sagte, so ginge es ihr ständig mit irgendwelchen Typen. Ich verstehe bloß nicht, was das mit dem 1. Januar zu tun hat.

Außenseiter, Underdogs und die nicht ganz durchschnittlichen Menschen scheint Andreas Steinhöfel (*1962) besonders ins Herz geschlossen zu haben. Denn sie sind die Helden seiner Kinder- und Jugendbücher. Da gibt es zum Beispiel den schwulen Teenager Phil im Bestseller "Die Mitte der Welt" oder Rico, der etwas langsamer denkt als die anderen, in "Rico, Oskar und die Tieferschatten". Für dieses Buch wurde Steinhöfel u. a. der "Deutsche Jugendliteraturpreis" verliehen. Außerdem erhielt er 2009 den "Erich Kästner Preis für Literatur". Am Ende gewinnen sie also doch manchmal, die Seltsamen und Andersartigen. http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Steinh%C3%B6fel

Samstag, 17. Mai 2014

Mantra

Keep calm and carry on  -  auf deutsch: Bleib ruhig und mach weiter - das ist zurzeit auch genau mein Motto :-)

"Keep calm and carry on" ist einer der bekanntesten Sinnsprüche der Moderne. Ursprünglich stammt er aber aus dem Jahr 1939 und wurde im Auftrag der britischen Regierung zum Kriegseintritt als ermutigendes Propaganda-Poster in 2,5 Millionen Exemplaren gedruckt. Es sollte die Moral der Bevölkerung im Falle eines schweren Militärschlages stärken, wurde dann aber doch nie öffentlich gezeigt. Anderen  Plakaten wie z. B.  "Freedom is in peril" ("Die Freiheit ist in Gefahr") wurde der Vorzug gegeben.

Dann, 61 Jahre später, im Jahr 2000, kauft ein englischer Buchhändler auf einer Aktion einige Bücherkisten. Aus einem dieser Kartons kommt ein Poster zum Vorschein. Ihm und seiner Frau gefällt die Botschaft "Keep calm and carry on". Sie hängen das Plakat in ihrem Laden auf. Schon bald fragen Kunden, ob das Poster käuflich sei, und der Buchhändler lässt einige Exemplare davon drucken. Sie verkaufen sich prima. Und als das Plakat dann noch im Jahre 2005 in der Weihnachtsausgabe einer großen Zeitung erscheint, beginnt ein ungeahnter Hype. Die Website des Buchhändlers bricht komplett überlastet zusammen, das Telefon glüht!

Inzwischen erfreut sich die "Durchhalteparole" nicht nur als Poster, sondern auch als Aufdruck auf Kleidung, Kaffeebechern und zahlreichen weiteren Artikeln großer Beliebtheit. Der Slogan ist in Großbritannien zum geflügelten Wort geworden, das in Artikeln zahlreicher Zeitungen auftaucht. Aufgrund der Beliebtheit gibt es inzwischen auch zahlreiche Parodien.
http://de.wikipedia.org/wiki/Keep_Calm_and_Carry_On

Freitag, 16. Mai 2014

Mein lieber Schwan


"Mein lieber Schwan" ist ein ergreifender Seufzer, der das Überwältigende des Erzählten hervorheben soll. Synonyme sind "mein lieber Scholli", "mein lieber Herr Gesangverein", "Mann, Mann, Mann", "Mannometer", "meiner Treu", "das sag' ich dir", "mein lieber Mann" ...
Und wo kommt's her? Ich hab's mir angelesen: In Richard Wagners Oper "Lohengrin", die den germanischen Schwanenmythos aufgreift, lautet eine Zeile: "Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!"

Besonders schön finde ich aber die Herkunft von "mein lieber Scholli". Wieder einmal ist ein sprachliches Missverständnis der Ursprung einer wunderbaren Wortneuschöpfung :-) Als die Franzosen in Hamburg waren - also von 1806 bis 1814 - sagten sie sehr häufig zu den blonden Hamburger Mädels: "ma chère jolie" was "meine liebe Hübsche" heißt - und da war's wieder passiert : Mein lieber Scholli ... :-)

Und wer sich nun noch eingehender mit dem germanischen Schwanenmythos, dem Schwanengesang und den Schwanenjungfrauen beschäftigen möchte, der folge bitte diesem Link : http://www.siegfried-wagner.org/html/op7deutschland.html  
Zur Hamburger Franzosenzeit hingegen geht's hier entlang : http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Franzosenzeit

Donnerstag, 15. Mai 2014

Kaschmirkanzler

Noch zu Beginn seiner Amtszeit wurde dem stets in eleganten Zwirn gehüllten Zigarrenraucher Gerhard Schröder das Kompositum "Kaschmirkanzler" gewissermaßen auf den Leib geschneidert. Man erinnere sich: Es war die Zeit der so genannten New Economy. Es war die Zeit der Spaßgesellschaft, und wer wollte einem gutgelaunten deutschen Kanzler das Mitlachen vergällen? Man musste schon sehr übellaunig veranlagt sein, um ihm das zeitgemäße Posing für italienische Maßkonfektion ernsthaft zum Vorwurf zu machen. Dem Eindruck, es handele sich beim Kanzler um "das erste deutsche Model, das im Nebenberuf als Politiker arbeitet" *, trat dieser mit steiler Sorgenfalte und hoch gekrempelten Ärmeln entschlossen entgegen.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/das-bedrohte-wort-der-gasnosse-aus-kaschmir-a-478521.html

* Ein hoch geschätzter Ex-Kollege von mir hat in diesem Zusammenhang auch das schöne Synonym "sein Haar schrödern" für das Färben von Männerhaar eingeführt :-)

Mittwoch, 14. Mai 2014

Vollbeschäftigung

Geschichtsbüchern entnehmen wir, dass es die Vollbeschäftigung einst wirklich gegeben  hat. Sie bezeichnet den paradiesischen Zustand einer Gesellschaft, die morgens kollektiv zur Arbeit fährt und abends müde, aber glücklich heimkehrt. Am Wochenende haben alle frei und Montags macht man auch mal blau. Die Arbeit tauscht man gegen Geld, das Geld gegen Sachen, und damit die Sachen nicht ausgehen, geht man wieder zur Arbeit und stellt neue Sachen her: wirtschaftswissenschaftlich gesehen also eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Dass all dies nicht mehr so funktioniert, weiß seit Jahrzehnten eigentlich mit Ausnahme von Regierungspolitikern jeder.
"Das Ziel bleibt die Vollbeschäftigung", sagen heute nur noch unbelehrbare Utopisten wie der z.B. der Kaschmirkanzler *. Die Wahrheit wird dezent verschwiegen.

© aus: Bodo Mrozek,Lexikon der bedrohten Wörter. Rowohlt Verlag 2005, 224S., 8,90€

* den Kaschmirkanzler stelle ich morgen vor ...

Dienstag, 13. Mai 2014

Floccinaucinihilipilification

Floccinaucinihilipilification ist mit 29 Buchstaben das längste Wort in der ersten Auflage des Oxford English Dictionary und bedeutet Geringschätzung. Vermutlich wurde es von einem Schüler des Eton College erfunden. Es setzt sich als Kompositum aus den lateinischen Wörtern floccus (Flocke), naucum (Nussschale), nihilum (Nichts) und pilus (Haar), die alle etwas Geringes, Wertloses bezeichnen, und dem Suffix -fication zusammen.

Überhaupt - die allerschönsten bescheuerten Wörter finden sich unter den rhetorischen Begriffen !!! Ob es sich um ein Hysteron-Proteron oder den Gish-Galopp handelt - übrigens die Bezeichnung für eine Methode des Debattierens, in welcher der Gegner in einer Flut aus Halbwahrheiten und ihm unterstellten falschen oder lächerlichen Annahmen ertränkt werden soll, so dass es ihm unmöglich wird, alle diese Postulate zu widerlegen, was mich stark an die rhetorischen Praktiken einer Ex-Kollegin erinnert -
das Reservoir an unbekannten und schrägen Wörtern ist schier unerschöpflich.

Floccinaucinihilipilification anhören:
englisch UK: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ca/En-uk-floccinaucinihilipilification.ogg
englisch US: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a7/En-us-floccinaucinihilipilification.ogg

http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Rhetorischer_Begriff

Montag, 12. Mai 2014

Abracadabrantesque

Nun wird es aber auch Zeit einmal ein französisches Lieblingswort zu würdigen: das Adjektiv abracadabrantesque ! Richtig - auch für nicht frankophone Ohren ist hier unüberhörbar schwarze Magie im Spiel: Abrakadabra (auch: Abracadabra) gilt als das Wort, welches in den meisten Sprachen die gleiche Aussprache hat. Es ist ein bereits in der Spätantike als Zauberwort geläufiger Begriff. Das Wort wurde verwendet, um drohendes Unheil abzuwenden, insbesondere um Krankheiten zu vertreiben.

Arthur Rimbaud hat abracadabrantesque 1871 in seinem Gedicht "Le coeur supplicié" verwendet, danach hörte man viele, viele Jahrzehnte nichts mehr von diesem Wort. Erst am 21. September 2000 wurde die verschollen geglaubte französische Vokabel für den politischen Gebrauch recycelt, denn manchmal kann das heilige Feuer der Poesie eben auch höchst weltlichen Zwecken nützen. So versetzte Präsident Jacques Chirac das Fernsehpublikum in Erstaunen, als er lästige Affärenvorwürfe gegen ihn mit dem bizarren Wort "abracadabrantesque" zurückwies. Seitdem hat das Wort abracadabrant Kultstatus erlangt und wird zumeist mit "an den Haaren herbeigezogen", "weit hergeholt", "haarsträubend" oder auch "verworren", "absurd" übersetzt.

Sonntag, 11. Mai 2014

Sellawie ...

Eigentlich soll Rico ja nur ein Ferientagebuch führen. Schwierig genug für einen, der leicht den roten, den grünen oder auch den blauen Faden verliert. Hier erklärt uns Rico, der sich selbst ein "tiefbegabtes" Kind nennt und einer der zwei liebenswerten Helden aus dem wunderbaren Kinderbuch "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von Andreas Steinhöfel ist, die ganz besonders schwierigen Gefühle, die auch wir alle kennen :-)

Depression:
Das graue Gefühl. Mama hat es mal so genannt, als wir uns über Frau Dahling unterhielten. Eine Depression ist, wenn alle deine Gefühle im Rollstuhl sitzen. Sie haben keine Arme mehr und es ist leider auch gerade niemand zum Schieben da. Womöglich sind auch noch die Reifen platt. Macht sehr müde.

Melancholie:
Traurigkeit ohne Grund. Die Griechen haben sie entdeckt, als sie mal zufällig in ein Organ names Galle reinguckten und nur Düsternis und Schwärze darin vorfanden. Es ist also so ähnlich wie ein leerer Kühlschrank mit kaputter Lampe, was ja auch so ziemlich der traurigste Anblick der Welt ist, nur mit Grund.

Resignation:
Wenn man etwas enttäuscht aufgibt, das man ohne Erfolg probiert hat. Zum Beispiel, wenn man auf den Mount Everest klettert und auf dem Gipfel reißen einem die Schnürsenkel und man hat keinen Ersatz dabei und kommt deshalb nicht wieder runter.
Es sind also oft die kleinen Dinge, die einen resignieren lassen.

Sensibel:
Empfindsam. Ab zwei Empfindsamkeiten gleichzeitig wird es kritisch, und ab drei bricht man zusammen vor Mitleid. Ohne Empfindsamkeit ist man unsensibel, behält aber immer gute Laune, zum Beispiel, wenn jemand vor einem zufällig die Treppe runterfällt.
Man muss ihn dann aber liegen lassen, sonst zählt es nicht.

Illusion:
Wenn man erwartet, dass was Schönes passiert oder dass man was Tolles kriegt, aber am Schluss hat man dann nichts außer Enttäuschung und vollgeheulte Tempos.
Also so ähnlich wie manchmal Weihnachten.

Für "Rico, Oskar und die Tieferschatten" hat Andreas Steinhöfel 2009 den Jugendbuchliteraturpreis bekommen. Das Kinderbuch wird zur Zeit verfilmt und soll im Herbst 2014 in die Kinos kommen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Steinh%C3%B6fel

Samstag, 10. Mai 2014

Windfahnen

Ich hänge meine Herzenswünsche jetzt in die Fenster !
Vielleicht schaut das Universum ja vorbei um sie mir zu erfüllen :-)
Ich hab's mir abgeguckt, von einer lieben Freundin die mit dieser Methode nicht nur ihren Traumjob sondern auch noch ihre Traumwohnung in ihrem bevorzugten Wohnviertel von Berlin gefunden hat. Eigentlich kommt mir solch ein Procédéré ja viel zu "esoterisch" vor. Doch mit zunehmender Ratlosigkeit werde auch ich immer offener für alles Wundersame zwischen Himmel und Erde :-)

Da helfen vielleicht solche Art von Gebetsfahnen, wie sie im Himalaya überall auf den Pässen und Berggipfeln zu sehen sind. Die tibetische Praxis der Windfahnen stammt bereits aus dem 11. Jahrhundert und hat nichts mit Aberglauben zu tun, sondern wird vom Dalai Lama sogar als Bestandteil der "Wissenschaft des Geistes" bezeichnet. Sie tragen die Farben blau, gelb, rot, grün und weiß, die für die fünf Elemente Luft, Erde, Feuer, Wasser und Raum stehen. Sowohl für den der sie aufhängt, als auch für die Menschen, für die diese Praxis ausgeführt wird, wirken Gebetsfahnen sehr heilsam. Sie können dabei helfen, jenen transformierenden Zustand des Geistes zu erreichen, bei dem sich sogar Hindernisse als unterstützende Situationen auf dem Weg herausstellen.

Am besten hängt man Gebetsfahnen an einem Vollmondtag oder bei zunehmendem Mond früh am Morgen mit einer klaren selbstlosen Motivation und einem persönlichen Wunsch auf. In der Vorstellung der Tibeter senden die im Wind flatternden Gebetsfahnen ständig heilvolle Energien, positive Erwartungen und Hoffnungen, sowie segensreiche Mantras und Gebete aus. Sie erinnern uns an die Kraft unserer Gedanken und Wünsche und helfen uns, für einen Augenblick in unserem hektischen Alltag innezuhalten und in Gegenwärtigkeit zu verweilen.

Freitag, 9. Mai 2014

Gibs auf!

Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: »Von mir willst du den Weg erfahren?« »Ja«, sagte ich, »da ich ihn selbst nicht finden kann.« »Gibs auf, gibs auf«, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Franz Kafka

dtv 62050 "Das Urteil und andere Erzählungen", illustriert von Hannes Binder

Donnerstag, 8. Mai 2014

Fingerzeig

"Was ich wirklich will, das schaffe ich auch!"
Um das Schaffen mache ich mir wenig Sorgen, schließlich sind wir Steinböcke ja für unseren Ehrgeiz und unsere eiserne Disziplin bekannt. Aber was ich beruflich wirklich will, das weiß ich eigentlich immer noch nicht so richtig ...
Und so erbitte ich einen Fingerzeig, eine intuitive Eingebung, ein Zeichen, einen Klartraum.
Es muss ja nicht gleich E=mc2 sein, was mir des Nachts eingegeben wird, ich wäre mit bescheideneren Fingerzeigen zufrieden!

Meine Träume zeigen mir leider nur das ganze Ausmaß meines Dilemmas:
Da stehe ich auf einem Bahnsteig und blicke auf die Fahrtrichtungsanzeigen, doch leider ist mir keiner der dort angezeigten Orte bekannt, und so weiß ich nicht einmal, in welche Richtung ich überhaupt fahren muss um wieder "nach Hause" zu gelangen.
Na ja, wenigstens habe ich das Potential zum Klarträumen, vielleicht kommt ja noch etwas Erhellendes dabei raus :-)

Mittwoch, 7. Mai 2014

Blues

Wenn du nicht froh kannst denken,
Obwohl nichts Hartes dich bedrückt,
Sollst du ein Blümchen verschenken
Aufs Geratewohl von dir gepflückt.

Irgendein staubiger, gelber, -
Sei's Hahnenfuß - vom Wegesrand.
Und schenke das Blümchen dir selber
Aus linker Hand an die rechte Hand.

Und mache dir eine Verbeugung
Im Spiegel und sage: "Du,
Ich bin der Überzeugung,
Dir setzt man einzig schrecklich zu.
Wie wär's, wenn du jetzt mal sachlich
Fleißig einfach arbeiten tätst?
Später prahle nicht und jetzt lach nicht,
Dass du nicht in Übermut gerätst."

Joachim Ringelnatz

Dienstag, 6. Mai 2014

Worte

Wenn meinen Worten die Silben ausfallen vor Müdigkeit
und auf der Schreibmaschine die dummen Fehler beginnen
wenn ich einschlafen will
und nicht mehr wachen zur täglichen Trauer
um das was geschieht in der Welt
und was ich nicht verhindern kann

beginnt da und dort ein Wort sich zu putzen und leise zu summen
und ein halber Gedanke kämmt sich und sucht einen andern
der vielleicht eben noch an etwas gewürgt hat
was er nicht schlucken konnte
doch jetzt sich umsieht
und den halben Gedanken an der Hand nimmt und sagt zu ihm:
Komm

Und dann fliegen einige von den müden Worten
und einige Tippfehler die über sich selber lachen
mit oder ohne die halben und ganzen Gedanken
aus dem Londoner Elend über Meer und Flachland und Berge
immer wieder hinüber zur selben Stelle

Und morgens wenn du die Stufen hinuntergehst durch den Garten
und stehenbleibst und aufmerksam wirst und hinsiehst
kannst du sie sitzen sehen oder auch flattern hören
ein wenig verfroren und vielleicht noch ein wenig verloren
und immer ganz dumm vor Glück dass sie wirklich bei dir sind

Erich Fried - der heute 93 geworden wäre, aber bereits 1988 verstorben ist

Montag, 5. Mai 2014

Könnertum

Mit dem Können ist es so eine Sache.
Das Können ist wahrlich ein weites Feld.
Da sind die, die könnens richtig gut,
die habens voll drauf.
Und es gibt die, die könnens gar nicht,
die solltens lassen.
Dann gibt es noch die, die sich wünschten zu können,
die so gerne können würden.
Und es gibt die, die könnens eigentlich,
aber glauben nicht dran.
Habe ich noch eine Kategorie vergessen? :-)

Sonntag, 4. Mai 2014

Mutterseelenallein

Es gibt Wörter, die man eigentlich nicht steigern kann. Denken wir an jemanden, der allein ist: Allein ist allein, fertig, man kann nicht "alleiner" sein oder "alleinst". Jedenfalls nicht im grammatikalischen, objektiven Sinne. Wenn ich mich frage, wie es subjektiv in meiner Seele aussieht, dann kann ich durchaus allein sein, sehr allein, völlig allein, so allein wie sonst niemand auf der ganzen Welt usw. Das ist eben der Unterschied zwischen Grammatik und Leben, zwischen Logik und Psychologie.

Auf deutsch haben wir ein wunderbares Wort, um einen Zustand völliger Verlassenheit auszudrücken: mutterseelenallein. Mutter – Seelen – allein. Ist es nicht herzzerreißend? Wer mutterseelenallein ist, den hat der Mensch verlassen, der am meisten Schutz im Leben gibt, und sogar die Seele, das Leben selbst, scheint sich davon gemacht zu haben. Mutterseelenallein, ein ganz und gar verzweifelter Zustand.

Man fragt sich wirklich, welcher Poet hat dieses Wort ersonnen, welcher feinfühlige Psychologe hat es erdacht? Aber wir wissen ja, Wörter werden nicht ausgedacht und festgelegt, sondern entstehen im Verborgenen. Hinter diesem traurigen Wort verbirgt sich eine ganz nette Geschichte. Entstanden ist es in Berlin, wieder einmal, und seine Quelle ist französisch. Im 17., 18. Jahrhundert kamen ja viele französische Protestanten, die Hugenotten, nach Berlin und Brandenburg ins Exil.

Wahrscheinlich fühlten sie sich dort ziemlich einsam, denn die Wendung "moi tout seul" – "ich ganz allein" wurde offenbar sehr häufig gebraucht, so häufig, dass die Berliner sie übernahmen und gleich noch die deutsche Übersetzung von "seul" – "allein" hinten dranhängten. So entstand "moi tout seul allein". Nun konnten die Menschen auf der Straße ja nicht alle gleichgut französisch, und deswegen ersetzten sie im Gebrauch diese merkwürdigen Wörter durch andere, die ihnen vertrauter waren. So wurde "moi tout seul allein" zu "mutterseelenallein", diesem so anrührenden Wort, das eine Sprache allein ganz sicher gar nicht hätte hervorbringen können.

Text: Hinrich Schmidt-Henkel
http://www.arte.tv/de/wissen-entdeckung/karambolage/Diese_20Woche/1146152.html

Samstag, 3. Mai 2014

Echte Mädchen

Wenn ich mich mit den mir angebotenen Jobs, Jahresgehältern und Aufgabenstellungen gedanklich und emotional auseinandersetze, komme ich immer häufiger auf die Idee zurück, vielleicht doch lieber einen eigenen Laden zu eröffnen :-)
Aber leider weiß ich immer noch nicht, was ich in diesem Laden anbieten soll ...
Da kommt der folgende, sehr amüsante Text von Katinka Buddenkotte gerade recht:

"Echte dreißigjährige Mädchen, also solche, wie ich eins werden möchte, kann man am besten in ihren Arbeitswelten studieren. Diese sind an sich schon ein Naturphänomenen: Sie befinden sich stets in jenen Vierteln einer Großstadt, die schwer im Kommen sind. Meistens sogar so schwer im Kommen, dass sie es nie ganz schaffen werden. Genau dort aber können die Mädchen mit ihrem Nestbau beginnen. Instinktiv finden sie ein abgewracktes Ladenlokal im Souterrain, aus dem man mit viel Liebe etwas machen kann.
Und sie machen immer einen Taschenladen daraus. Ein richtiges Mädchen-Lädchen. Und neben diesen selbst entworfenen, riesigen Taschen entstehen in den dem winzigen Lädchen angeschlossenen Werkstätten auch noch winzige niedliche Röckchen.

Freitag, 2. Mai 2014

Grünes Glück


Immer sind es Bäume
die mich verzaubern
Aus ihrem Wurzelwerk schöpfe ich
die Kraft für mein Lied
Ihr Laub flüstert mir
grüne Geschichten
Jeder Baum ein Gebet
das den Himmel beschwört
Grün die Farbe der Gnade
Grün die Farbe des Glücks

Rose Ausländer

Donnerstag, 1. Mai 2014

Tag der Arbeit

Ich bin hin- und hergerissen. Soll ich mit Ehemann Ulf ins grüne Glück radeln oder soll ich heute am Ersten Mai politisches Bewusstsein zeigen und mitmarschieren am Kampf- und Feiertag der Arbeiterbewegung? Antreten am internationalen EuroMayDay dessen zentrales Anliegen ist, den verschiedenartigsten Formen von Prekarisierung in Arbeit und Leben einen Ausdruck zu geben.

Prekariat ist ein soziologischer Begriff für eine inhomogene soziale Gruppierung, die durch Unsicherheiten der Erwerbstätigkeiten gekennzeichnet ist.
Prekäre Arbeitssituationen sind durch 4 Merkmale gekennzeichnet:
  1. Geringe Arbeitsplatzsicherheit, die nur mit einem kurzfristigen Zeithorizont verbunden ist;
  2. mangelnder Einfluss auf die Arbeitssituation und ausbleibende betriebliche Integration;
  3. fehlender Schutz durch sozial- und arbeitsrechtliche Normen;
  4. schwierige Existenzsicherung infolge eines niedrigen Einkommensniveaus.
Prekariat ist ein neues Wort, das als Substantiv vom Adjektiv prekär abgeleitet ist. Das Adjektiv hat die Bedeutung unsicher, weil widerruflich. In die deutsche Sprache kam es während der napoleonischen Zeit aus dem französischen Wort précaire, das vom lat. precarius (‚bittweise erlangt‘) und precari (‚flehentlich bitten‘) abstammt.
Im Jahr 2006 wählte die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff Prekariat auf Platz 5 des Wort des Jahres.

San Precario ist eine Figur, die von italienischen Aktivisten für den EuroMayDay erfunden wurde, mittlerweile aber auch darüber hinaus zu Bekanntheit gekommen ist.
Er soll als Schutzheiliger aller von Prekarisierung Betroffenen fungieren und somit ist er auch zu meinem Schutzpatron geworden!